18.10.2010 [ergänzt 26.06.2014 u. 16.06.2016]

Syntopes Vorkommen der Feldwespen Polistes bischoffi Weyrauch, 1937*# und Polistes nimpha (Christ, 1791) im südlichen Niedersachsen

Thomas Meineke


Die erstmalige Wahrnehmung stylopisierter Feldwespen Polistes dominula im Haus- und Versuchsgarten des Autors rückte diese Hautflügler fortan verstärkt ins Blickfeld sporadischer Kontrollen. Dabei wurde am 3. September 2010 auf Blüten der Kanadischen Goldrute Solidago canadensis neben Haus-Feldwespen ein Polistes nimpha-Männchen und am 11. Tag desselben Monats ebenda auch ein Polistes bischoffi-Geschlechtsgenosse angetroffen. Bis Anfang Oktober folgten weitere Beobachtungen beider Arten auf Infloreszenzen der Goldrute, des Flachblättrigen Feldmannstreus Eryngium planum und des Schling-Flügelknöterichs Fallopia baldschuanica. Von den fünf aus Deutschland bekannten Feldwespen-Arten (Witt 2009) ernährten sich also zumindest zeitweilig drei gemeinsam (syntop) auf lediglich 1.000 Quadratmeter Fläche. Für Niedersachsen finden sich im Schrifttum bisher lediglich Hinweise zum Vorkommen von P. dominula (Theunert 2005).

Polistes nimpha besitzt nach vorliegenden Erkenntnissen eine (submediterran-)kontinentale Verbreitung, während P. bischoffi auf das südliche und zentrale Europa beschränkt zu sein scheint (Blüthgen 1961, Carpenter 1999, Dvorak et al. 2006 u.a.), also ein submediterranes Faunenelement repräsentiert. In Deutschland werden beide vor allem aus dem Süden der Republik gemeldet, P. nimpha darüber hinaus auch aus Brandenburg und Mecklenburg (Blüthgen 1961, Flügel 2008, Mauss 2001, Woydak 2006). Polistes bischoffi besiedelt nicht nur ein kleineres Areal, sie tritt offenbar auch seltener in Erscheinung als P. nimpha. Wohl deshalb und weil sie zudem große Ähnlichkeit mit der häufigeren und weiter verbreiteten Feldwespe Polistes biglumis (Linnaeus, 1758) aufweist, erlangte sie erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts als eigenständige Spezies Beachtung (Blüthgen 1961). Es bleibt daher zu klären, ob diese Feldwespenart in jüngster Zeit eine Ausbreitung „sehr stark in westlicher und nordwestlicher Richtung” vollzieht (Malec & Wolf 1995) oder in der Vergangenheit vielerorts schlicht unerkannt blieb.

Verbreitung der Zierlichen Feldwespe* in Deutschland und angrenzenden Ländern, zusammengestellt nach den unten angeführten Quellen. Die abweichende Punktfarbe hebt den Neufund 2010 aus Ebergötzen in Niedersachsen hervor.

Versuche der Deutung erneuter oder erstmaliger Beobachtungen von Polistes nimpha hinterlassen gleichfalls offene Fragen. Noch 1995 galt die Art in Hessen als „sehr stark bedroht”, weil in den bis dahin vergangenen 38 Jahren keine Nachweise gelangen (Malec & Wolf 1995). Diese Gefährdungseinstufung scheint eine ab 1996 einsetzende Serie von Wieder- und Neufunden zu widerlegen. Die nördlichste hessische Feststellung gelang 2006 bei Hombressen am Reinhardswald (Flügel 2008), 45 Kilometer westsüdwestlich des niedersächsischen Fundortes Ebergötzen. Bereits vor 1950 fand man die grazile Feldwespe bei Klein-Furra in Nord-Thüringen (Blüthgen 1961), also lediglich 48 Kilometer ostsüdöstlich des Haus- und Versuchsgartens. Ähnlich wie in Hessen folgten weitere Nachweise erst wieder ab 1995 (Burger 2002, Flügel 2008). Auch in Nordrhein-Westfalen deutet sich eine Rückkehr nach vielen Jahrzehnten mangelnder Beobachtungen an (Woydak 2006). Vielleicht begünstigte die nach 1990 überdurchschnittlich warme Periode die Reokkupation zuvor geräumter Gebiete. Offenbar kann innerhalb weniger Jahre eine Verschiebung der Verbreitungsgrenze in die eine wie auch andere Richtung eintreten. Dass dabei vor allem die Dynamik des Klimas Einfluss auf Fortpflanzungs- und somit Expansionserfolg des wärmeliebenden wie zweifellos dispersionsfähigen Insektes nimmt, liegt auf der Hand. Gleichwohl dürften viele erstmalige Feststellungen aus der heute intensiveren Erfassungsaktivität einer wachsenden Zahl von Faunistikern und weniger aus veränderten Lebensraumbedingungen resultieren.

Polistes bischoffi und P. nimpha besiedeln ausschließlich sonnig-warme Lebensräume. Diese müssen in den Sommermonaten über ein ausreichend umfangreiches wie anhaltendes Blütenangebot und einige dürre, aber nicht zu schwache Pflanzenstängel verfügen. Halme und dünne Äste dienen beiden Arten als Fundament für den Bau ihrer stets offenen Nester. Die genannten Voraussetzungen finden sich vor allem in Trockenrasen, mageren Brachen, Ruderalfluren, Rainen und naturnah gestalteten Gärten (Maus 2001, Dvorak et al. 2006, Flügel 2008, Witt 2009). Zuminderst P. bischoffi nutzt unter klimatisch günstigen Bedingungen auch Feuchtbiotope (Schmid-Egger & Treiber 1989). Der für P. nimpha häufig verwendete deutsche Trivialname „Heide-Feldwespe” suggeriert demnach eine unzutreffende Exklusivität der Habitatbindung. Im Rückgriff auf den von Christ (1791) verwendeten Namen böte sich als alternative Bezeichnung „Nymphen-Feldwespe” an. Und in der Tat erinnert graziöser Körperbau, leicht tanzender Flug und ihr zurückhaltendes, ängstliches Wesen an die der griechischen Mythologie entlehnten Eigenschaften dieser Gottheiten.

Zitierte und verwendete Quellen

Blüthgen, P. (1961): Die Faltenwespen Mitteleuropas (Hymenoptera, Diploptera). Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Klasse Chemie, Geologie und Biologie, Jahrgang 1961, Nr. 2: 1-248.

Baugnée, J.-Y., 1996. Une nouvelle guêpe sociale pour la faune belge: Polistes bischoffi Weyrauch, 1937, trouvée en Gaume (Hymenoptera: Vespidae). – Bulletin et Annales de la Societe Belge d’Entomologie 132: 395-398.

Burger, F. (2002): Nachtrag zur Faltenwespenfauna Thüringens (Hymenoptera, Vespidae). Check-Listen Thüringer Insekten Teil 10: 59-60.

Burger, F. (2007): Dritter Nachtrag zur Faltenwespenfauna Thüringens (Hymenoptera, Vespidae). Check-Listen Thüringer Insekten Teil 15: 65-66.

Burger, F. (2009): Vierter Nachtrag zur Faltenwespenfauna Thüringens (Hymenoptera: Vespidae). Check-Listen Thüringer Insekten Teil 17: 53-54.

Carpenter, J. (1996): Distributional Checklist of the Species of the Genus Polistes (Hymenoptera: Vespidae, Polistinae, Polistini). American Museum Novitates 3188: 1-39.

Christ, J. L. (1791): Naturgeschichte, Klassification und Nomenclatur der Insekten vom Bienen, Wespen und Ameischengeschlecht; als der fünften Klasse fünfte Ordnung des Linneischen Natursystems von den Insekten: Hymenoptera. Mit häutigen Flügeln. Frankfurt am Main, [535 S. und 60 Tafeln]

Dvorak, L., V. Smetana, J. Straka & P. Devan (2006): Present distribution of the paper wasp Polistes bischoffi WEYRAUCH 1937 in the Czech Republic and in Slovakia with notes to its spreading (Hymenoptera: Vespidae). Linzer biologische Beiträge 38: 533-539.

Feitz, F., N. Schneider & A. Pauly (2003): Hyménoptères Apocrites nouveaux ou intéressants pour la fauna luxembougeoise (Hymenopterea, Aprocrita). Bulletin de la Socieé Naturalistes luxembourgoise 104: 79-88.

Flügel, H.-J. (2008): Erster Nachweis der Feldwespe Polistes nimpha (CHRIST, 1791) im Schwalm-Eder-Kreis (Hymenoptera: Aculeata, Vespidae). Entomologische Zeitschrift 118: 179-182.

Malec, F. & H. Wolf (1995): Vorarbeiten zur Faunistik der Sozialen Faltenwespen (Insecta, Hymenoptera, Vespidae) von Hessen. Naturschutz heute / Naturschutzzentrum Hessen (Weimar) 14: 203-212.

Mandrey, K. (2003): Arbeitsatlas der Bienen und Wespen Bayern. – www.buw-bayern.de

Mauss, V. (2001): Erstnachweis der Faltenwespe Polistes bischoffi WEYRAUCH 1937 (Hymenoptera, Vespidae) für Nordrhein-Westfalen mit Anmerkungen zur Arealerweiterung der Art. Decheniana (Bonn) 154: 109-116.

Schmid-Egger, C. & R. Treiber (1989): Die Verbreitung von Polistes bischoffi (WEYRAUCH 1937) (Hym., Vespoidea) in Süddeutschland. Linzer biologische Beiträge 21: 601-609.

Straka, J., P. Bogusch, P. Tyrner & D. Veprek (2004): New important faunistisc records of Hymenoptera (Chrysidoidea, Apoidea, Vespoidea) from the Czech Republic. Klapalekiana 40: 143-153.

Theunert, R. (2005): Verzeichnis der Stechimmen Niedersachsens und Bremens (Hymenoptera Aculeata). Bembix 20: 10-26.

Witt, R. (2009): Wespen. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Vademecum Verlag, Oldenburg, 400 S.

Woydak, H. (2006): Hymenoptera Aculeata Westfalica. Die Faltenwespen von Nordrhein-Westfalen (Hymenoptera, Vespoidea; Vespidae und Eumenidae) (Soziale Papier- und Lehmwespen). Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum für Naturkunde 68: 3-133.  

 

*  Nachtrag 1  [26.06.2014]

Neumeyer et al. (2014) klärten auf, dass die von Weyrauch 1937 beschriebene Polistes bischoffi zwei genetisch und morphologisch verschiedene Arten umfasst. Die "neue" Faltenwespe heißt Polistes helveticus NEUMEYER, 2014 und besitzt im Unterschied zu der weitgehend auf das südliche Mitteleuropa beschränkten P. bischoffi WEYRAUCH 1937, rev. stat, eine mehr mitteleuropäische Verbreitung. Die in Ebergötzen (auch noch nach 2010) gefundenen Individuen gehören gemäß den Differentialmerkmalen zu P. helveticus.

Neumeyer, R., Baur, H., Guex, G.-D. & Praz, C. (2014): A new species of the paper wasp genus Polistes (Hymenoptera, Vespidae, Polistinae) in Europe revealed by morphometrics and molecular analyses. ZooKeys 400: 67-118.

#  Nachtrag 2  [16.06.2016]

Laut den Untersuchungen durch Neumeyer et al. (2015) ist Polistes helveticus NEUMEYER, 2014 ein subjektives Synonym von Polistes albellus GIORDANI SOIKA, 1976. Der Beitrag von Neumeyer et al. (2015) listet zu diesem Taxon unter "Material examined" zahlreiche Funde auf, darunter auch einen aus "Ebergötzen (approx. 51°34'22''N 10°06'57''E, garden), 1 ♂, 11 Sep 2010 T. Meineke photographic record". Der entsprechende Fundpunkt erscheint auch auf der Verbreitungskarte (Fig. 4 u. 5). Eine Quellenangabe fehlt [!]. Den Autoren hätte auf Anfrage mitgeteilt werden können, dass aus besagtem Garten 7 Belegtiere (2010-2014) in der Hymenopteren-Sammlung vorliegen und wie die korrekten Koordinaten lauten.

Neumeyer, R., Gereys, B. & Castro, L. (2015): New data on the distribution of Polistes bischoffi WEYRAUCH, 1937 and Polistes helveticus NEUMEYER, 2014, a synonym of Polistes albellus GIORDANI SOIKA, 1976 n. stat. (Hymenoptera: Vespidae). Boletin de la Sociedad Entomológica Aragonesa (S.E.A.) 576: 205-216.

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